Profi wird Pate

Interview mit Katrin Rafalski

Nachricht vom: 2. Okt. 2023
Lesezeit: 10 Minuten
Katrin Rafalski mit Julian Wiegel:
Foto/Video: DFB
Katrin Rafalski mit Julian Wiegel: "Es macht unheimlich Spaß, wenn man jemanden sieht, der so viel Freude an der Schiedsrichterei hat"

Wenn drei TV-Kameras einen 14 Jahre alten Schiedsrichter bei einem D-Jugendspiel in der Kreisklasse begleiten, muss es einen besonderen Anlass geben. Der Anlass war am Donnerstagabend der Auftakt der Aktion Profi wird Pate. Der Schauplatz: ein idyllischer Sportplatz im nordhessischen Malsfeld im Schwalm-Eder-Kreis. Das Spiel: SG Fuldalöwen Beisetal gegen TSV Altmorschen. Der Schiedsrichter: Julian Wiegel vom TSV Wabern, 14 Jahre alt, seit wenigen Monaten an der Pfeife aktiv. Die Patin: Katrin Rafalski, 41 Jahre, Schiedsrichterin in der Google Pixel Frauen-Bundesliga, Teilnehmerin an vier Frauen-Weltmeisterschaften und zweimalige DFB-Schiedsrichterin des Jahres (2015, 2022).

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte Profi wird Pate gemeinsam mit seinen 21 Landesverbänden und Elite-Schiris am vergangenen Wochenende im Rahmen des Amateurfußball-Kongresses öffentlich ins Leben gerufen. Der Kern der bundesweiten Aktion: Alle Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter der Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga, Google Pixel Frauen-Bundesliga und 2. Frauen-Bundesliga werden im Laufe dieser Saison in ihrer Heimatregion mindestens einmal als Patin oder Pate von Schiri-Neulingen im  Amateurfußball  eingesetzt. Rafalski hat mit Julian Wiegel den Anfang gemacht. Patrick Ittrich ist am Sonntag in Hamburg als nächstes an der Reihe, viele weitere werden folgen.

Wie lief der Auftakt? Was ist beim jungen Schiri hängen geblieben? Was macht die Faszination Schiri aus? Wie gehen Unparteiische mit Rückschlägen um? FUSSBALL.DE-Mitarbeiter Jochen Breideband hat mit Julian Wiegel und Rafalski nach Abpfiff in der Kabine gesprochen.

FUSSBALL.DE: Julian, wie war es für Dich, von einer Bundesliga-Schiedsrichterin begleitet zu werden?


Julian Wiegel: Es war sehr spannend und hat viel Spaß gemacht. Man kann gerade von einer Bundesliga-Schiedsrichterin viel mitnehmen.

Zum Beispiel?

Wiegel: Dass man beim Anstoß immer links stehen sollte, damit man als Schiedsrichter immer die Diagonale laufen kann.

Katrin Rafalski: Das ist die Diagonale, mit der Du später Deinen Assistenten in Spielrichtung siehst. Wir haben darüber in der Halbzeitpause kurz gesprochen. Julian hat das anschließend super umgesetzt. Schon beim ersten Anstoß in der zweiten Halbzeit hat er sich gleich richtig positioniert.

Profi wird Pate ist gestartet. Wie war es heute für die Patin?

Rafalski: Perfekt. Es war für mich ein großartiger Abend. Julian hat eine tolle Auffassungsgabe. Es macht unheimlich Spaß, wenn man jemanden sieht, der so viel Freude an der Schiedsrichterei hat. Das ist ja genau das, was wir mit der Aktion erreichen wollen.

Waren die Erwachsenen am Spielfeldrand heute durch die öffentliche Aufmerksamkeit etwas ruhiger also sonst?

Wiegel: Die Zuschauer sind eigentlich bei mir immer ruhig. Wenn ich bisher Probleme hatte, waren es eher die Trainer. Sie wollen zum Beispiel über eine Entscheidung noch diskutieren, auch wenn der Freistoß bereits ausgeführt ist. Oder sie werden lauter und schreien. Aber auch das ist sehr selten.

Wie gehst Du damit um, wenn ein Erwachsener Dich als 14-Jährigen von außen anschreit?

Wiegel: Beim ersten Mal war ich ziemlich enttäuscht, weil der betreffende Trainer selbst auch Schiedsrichter ist. Aber mein Schiedsrichter-Beobachter meinte zu mir, ich habe keinen Fehler gemacht und ich solle so etwas ignorieren, solange es nicht persönlich wird. Das hat mir geholfen.

Rafalski: Das ist richtig. Wenn es persönlich wird, erreicht es sehr schnell eine emotionale Ebene. Damit ist viel schwieriger umzugehen, gerade bei jungen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, die noch nicht einen so umfassenden Werkzeugkoffer haben wie die erfahrenen Hasen. Wenn Du als Schiri anfängst, ist der Koffer noch ziemlich leer. Mit jedem Spiel kommt dann etwas dazu, Situationen, mit denen man umgehen musste, Erfahrungen, die man gemacht hat. Darauf kann man dann zurückgreifen. Darum arbeitet es anfangs in den Jungs und Mädels natürlich umso mehr, weil sie noch nicht so abgeklärt sind. Wir müssen auf dem Sportplatz und insgesamt in der Gesellschaft dahin kommen, dass wir wieder mehr aufeinander zugehen und besser miteinander umgehen. Das ist kein Problem, das man allein auf die Schiedsrichterei übertragen kann.

Was sind für Dich die wichtigsten Werkzeuge aus dem beschriebenen Koffer?

Rafalski: Eine hohe Regelkenntnis ist die Grundvoraussetzung. Wer die hat, ist sehr gut vorbereitet. Dazu kommt die körperliche Fitness. Wer nicht fit ist und dem Spiel nur hinterher rennt, wird auch im Kopf müde und dann funktioniert das Entscheiden nicht mehr richtig. Alles andere sind Erfahrungswerte. Ein Spieler lernt von Spiel zu Spiel dazu, das ist bei Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern nicht anders.

Wie gehst Du mit Rückschlägen um?

Rafalski: Ich versuche, immer zu reflektieren und aufzuarbeiten. Ich frage mich, warum ich einen Fehler gemacht habe. Habe ich falsch gestanden? War ich nicht gut genug vorbereitet? War ich vielleicht müde und nicht richtig fit? Wenn man sich all diese Fragen stellt und auch beantworten kann, denkt man lösungsorientiert und kann die Probleme beheben.

Hast Du jemanden, der Dich besonders unterstützt, Julian?

Wiegel: Bei meinem ersten Spielen habe ich immer mit Florian geschrieben. Das ist ein Schiedsrichter, den ich schon lange kenne und der mich auch zur Schiedsrichterei gebracht hat. Außerdem noch mein Papa. Er fährt mich zu allen Spielen und da sprechen wir auch darüber.

Wie bist Du Schiedsrichter geworden?

Wiegel: Ich habe erst selbst Fußball gespielt, aber das Training hat mir keinen Spaß gemacht. Florian wusste, dass ich trotzdem weiter gerne etwas mit Fußball zu tun haben möchte. Er hat mich angesprochen, ob ich es nicht als Schiedsrichter versuchen möchte - und ich habe mir gedacht, ich probiere es aus. Das war vor einigen Monaten. Und es macht mir richtig Spaß.

Träumst Du davon, später wie Katrin Spiele im Profifußball zu leiten?

Wiegel: Es wäre schon ein Traum, mal in der Bundesliga zu pfeifen. Aber ich weiß, dass es sehr schwer ist, so weit nach oben zu kommen.

Wie hat es bei Dir angefangen, Katrin?

Rafalski: Ich habe selbst Fußball gespielt und gepfiffen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich als Schiedsrichterin immer erfolgreicher werde und es kam der Zeitpunkt, an dem ich mich entscheiden musste zwischen Spielen und Pfeifen. Ich habe mich für die Schiedsrichterei entschieden, bin in die 2. Frauen-Bundesliga aufgestiegen und im Folgejahr in die 1. Frauen-Bundesliga.

Hattest Du zu Beginn als Schiedsrichterin auch eine Begleitung, die Dich geprägt hat?

Rafalski: Unser Verbands-Obmann Gerd Schugard hat mich immer sehr unterstützt. Darüber hinaus hatten wir bei uns im Schwalm-Eder-Kreis ein regelmäßiges Schiri-Training, das heute noch existiert und sich absolut auszahlt. Dadurch hatten wir eine prima Gemeinschaft. Wir sind Freunde geworden, gegenseitig bei Spielen mitgefahren. Das war und ist wie Mannschaftssport. Ich pfeife heute in meiner Freizeit auch bewusst nicht Ober- oder Verbandsliga, sondern nur Gruppenliga. Denn es ist mir total wichtig, die jungen Schiris zu unterstützen. In einem Gruppenliga-Spiel stehe ich als Schiri sehr sicher drin und genieße eine hohe Akzeptanz. Das hilft mir, mehr Fokus auf das Geschehen außen zu legen und mein junges Gespann noch stärker zu unterstützen. So haben die Jungen und Mädchen die Gelegenheit, sich noch besser zu entwickeln und zu entfalten.

Eine Unterstützung und Motivation für junge Schiris soll auch Profi wird Pate sein. Was sagt Ihr zu der Aktion?

Rafalski: Die Aktion ist mega. Ich werde meine positiven Erfahrungen von heute gleich an meine Kolleginnen und Kollegen weitergeben. (lacht)  Wir können viel Erfahrung und Wissen transportieren. Wir selbst haben früher auch davon profitiert, gefördert und unterstützt zu werden. Darum finde ich es angemessen und wichtig, dass wir das zurückgeben.

Wiegel: Ich finde sehr gut, was Katrin sagt. Denn von Bundesliga-Schiris kann man besonders viel lernen.

Autor/-in: Jochen Breideband